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Faktor 10 oder doch nicht? Ein genauer Blick auf die Schweizer Mobilfunkgrenzwerte

Häufig wird in der Diskussion um Immissionsgrenzwerte für Mobilfunk in Deutschland auf die zum Teil niedrigeren gesetzlichen Grenzwerte in der Schweiz verwiesen. Bisweilen wird dann behauptet, diese Grenzwege lägen im Land der Eidgenossen um den Faktor Zehn niedriger als in Deutschland. Dies trifft so allerdings nicht zu – ein genauerer Blick auf die Lage in der Schweiz lohnt sich daher.

 

Immissions- und Anlagegrenzwerte

Grundsätzlich gelten in der Schweiz wie auch in Deutschland gesetzlich verankerte Grenzwerte für Mobilfunksignale, die auf den Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission (ICNIRP) basieren. Man spricht von Immissionsgrenzwerten – also Grenzwerten für das Einwirken elektromagnetischer Energie auf den Menschen. Diese Grenzwerte wurden in der Schweiz in der seit Februar 2000 gültigen Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) festgelegt und entsprechen im Wesentlichen den auch in Deutschland gültigen Werten. Exakt lauten sie für die Schweiz – unabhängig von den eingesetzten Mobilfunkstandards – für die jeweiligen Frequenzbereiche:

 

Frequenzbereich Immissionsgrenzwert für den Effektivwert der elektrischen Feldstärke (in Volt pro Meter)
400 MHz  28 V/m
800 MHz  39 V/m
900 MHz  42 V/m
1800 MHz  58 V/m
2100 MHz  61 V/m
2600 MHz  61 V/m

 

Neben diesen Immissionsgrenzwerten gibt es in der Schweiz zusätzlich die sogenannten Anlagegrenzwerte. Hier findet bei der Betrachtung ein Wechsel statt: Es werden nicht mehr alle stationären Quellen in Summe betrachtet, sondern nur noch die Immissionen eines einzigen Mobilfunkstandortes (einer „Anlage“). Diese Immissionen müssen an sogenannten Orten mit empfindlicher Nutzung (in der Fachdiskussion wird dafür oft das Kürzel OMEN verwendet) die Anlagegrenzwerte einhalten.

Zu diesen OMEN zählen etwa Kinderspielplätze sowie Innenräume in Gebäuden, in denen sich Personen regelmäßig über längere Zeit aufhalten. Nur für diese Orte gelten die strengen Anlagegrenzwerte. Diese liegen um den Faktor 10 tiefer als die Immissionsgrenzwerte.

Das Bundesamt für Umwelt der Schweiz führt aus: „Die Anlagegrenzwerte stützen sich nicht auf medizinische oder biologische Erkenntnisse, sondern sind anhand technischer, betrieblicher und wirtschaftlicher Kriterien festgelegt worden.“ Daher wird ihre Notwendigkeit kontrovers diskutiert.

Auch in diesem Fall gelten für unterschiedliche Frequenzbänder unterschiedliche Grenzwerte:

 

Frequenzbereich Anlagegrenzwert
(in Volt pro Meter)
400 MHz, 800 MHz, 900 MHz 4 V/m
1800 MHz, 2100 MHz, 2600 MHz 6 V/m
Kombination von 400/800/900 MHz
mit 1800/2100/2600 MHz
5 V/m

In dichter besiedelten Gebieten führt der Anlagegrenzwert an den am meisten exponierten Orten mit empfindlicher Nutzung zu tieferen Maximalwerten der Feldstärken. Für die Mehrzahl der OMEN sind die Reduktionen allerdings geringer als es die niedrigen Anlagengrenzwerte suggerieren. Denn anders als die Grenzwerte in Deutschland, die alle stationären Quellen berücksichtigten, beziehen sich die Schweizer Anlagengrenzwerte ja immer nur auf eine einzelne Anlage. In ländlicheren Gebieten gibt es bis auf spezielle räumliche Konstellationen ohnehin kaum einen Unterschied zwischen den Immissionsniveaus in Deutschland und der Schweiz.

Wichtig ist somit festzuhalten, dass es in der Schweiz keine Mobilfunknetze gibt, die mit Leistungen betrieben werden, welche im Vergleich zu Deutschland zu einem generell um den Faktor 10 reduzierten Immissionspegel führen. Dies wäre auch kaum möglich, denn dafür müssten enorm viele zusätzliche Mobilfunkstandorte errichtet werden, für die es weder in Deutschland noch in der Schweiz eine ausreichende Zahl an verfügbaren Standortoptionen gibt. Zudem wäre ein solches Netz kaum finanzierbar. Die Forderung nach einer bloßen Absenkung der Immissionswerte in Deutschland um den Faktor 10 entspricht somit nicht dem real praktizierten Verfahren in der Schweiz.

 

Auswirkungen der Anlagegrenzwerte in der Schweiz

Allerdings haben die Schweizer Anlagegrenzwerte durchaus einige praktische Auswirkungen auf den Mobilfunkausbau in dem Alpenland. So können mittlerweile in den meisten Siedlungsgebieten keine Standorterweiterungen an bestehenden Sendeanlagen vorgenommen werden. Dies macht es dann erforderlich, zahlreiche neue Standorte zu suchen. Zudem können in Siedlungsgebieten nicht alle Mobilfunkstandorte von mehreren Netzbetreibern genutzt werden, weil der Anlagegrenzwert häufig schon durch einen Anbieter ausgeschöpft wurde. In solchen Fällen müssen neue Standorte errichtet werden, was zu einer höheren Anzahl an Basisstationen beiträgt.

Die beschriebene Lage führte bereits in der Vergangenheit zu einer Verteuerung beim Bau und Betrieb der Mobilfunknetze in der Schweiz. Außerdem gibt es kaum belastbare Hinweise, dass strengere Grenzwerte zu einer Verbesserung der Akzeptanz von Mobilfunkanlagen beitragen. Ein Blick auf die in der Schweiz geführten Auseinandersetzungen lässt sogar daran zweifeln.

Tatsächlich zeichnen Untersuchungen ein anderes Bild: Eine im April 2021 veröffentlichte Umfrage im Auftrag der Management- und Technologieberatung BearingPoint weist beispielsweise aus, dass in der Schweiz 39 Prozent der Befragten „den Einfluss von 5G auf die Gesundheit negativ oder sehr negativ einschätzen“. In Österreich beträgt dieser Anteil 33 Prozent der Befragten, in Deutschland hingegen lediglich 18 Prozent.

Einer der Gründe dafür: die Anlagegrenzwerte werden oftmals nicht als zusätzliche Vorsorge wahrgenommen, sondern von vielen Bürgern als Schwelle zu gesundheitlichen Schäden missverstanden. Wenn Mobilfunkbetreiber die Anlagegrenzwerte ausschöpfen, entsteht so der Eindruck, als ob es dann keine „Sicherheitsmarge“ mehr gäbe. Bedenken werden dadurch eher verstärkt als gemildert. [1]

Auch beim Aufbau von 5G begrenzt dieser Schweizer Sonderweg die Möglichkeiten, mehr Kapazität beziehungsweise höhere Datenraten bereitzustellen. Gemäß einem Bericht der Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) weisen nur rund 2 Prozent der Mobilfunkstandorte in urbanen oder suburbanen Gebieten der Schweiz ausreichend Reserven für eine Erweiterung auf 5G auf. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass mit den aktuellen Anlagegrenzwerten für einen umfassenden 5G-Ausbau rund 27.000 zusätzliche Antennenstandorte realisiert werden müssten – rund dreimal so viele wie heute bestehen.

Fazit:

Eine Kombination der in Deutschland geltenden Genehmigungsverfahren mit den Schweizer OMEN-Grenzwerten würde dazu führen, dass hierzulande eine sehr viel größere Zahl zusätzlicher Mobilfunkstandorte aufgebaut werden müsste – für die es absehbar keine ausreichenden Platzierungsoptionen gibt. Außerdem hat das kompliziertere Schweizer Grenzwertverfahren zu höheren Kosten beim Mobilfunkausbau geführt, die letztlich im Rahmen eines allgemeinen Hochpreisumfeldes von den dortigen Kunden getragen werden.

Hinsichtlich der real messbaren Immissionen in der Schweiz führen die Schweizer Grenzwerte primär zu einer Reduktion an einigen wenigen Orten, die andernfalls eine etwas höhere Immission aufweisen würden. Für die große Mehrheit ändern sich die Immissionspegel aber kaum oder nur unwesentlich. Darüber hinaus finden sich keine Belege dafür, dass die Akzeptanz der Mobilfunkinfrastruktur beziehungsweise die Akzeptanz für deren zeitgemäße Modernisierung in der Schweiz parallel zur Anwendung der dortigen Grenzwertregelung gestiegen wäre.

 

(1) Wiedemann, P.M., Thalmann, A.T., Grutsch, M.A., Schütz, H. (2006) The impacts of precautionary measures and the disclosure of scientific uncertainty on EMF risk perception and trust, in: Journal of Risk Research, 9, 4, 361-372.

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