IZMF: Herr Professor Bendel, Sie haben bereits einige Gedichtbände und Romane im Buchformat veröffentlicht, bevor Sie Ihre Handyromane schrieben. Was hat Sie dazu bewogen, mit diesem im deutschsprachigen Raum bis dahin relativ unbekannten Format Neuland zu betreten?
Bendel: Mir gefiel die Möglichkeit, ein in Japan beliebtes Genre in Europa bekanntzumachen. Und jedes einzelne Experiment gefiel mir, auf sprachlicher, inhaltlicher und vertrieblicher Ebene. Nicht zu vergessen die Ebene der Produktion: Ich hatte irgendwann die Idee zum Mundarthandyroman, und eine junge Autorin aus Luzern hat diesen nach zwei, drei Treffen geschrieben und vor über einem Jahr veröffentlicht. Nach meinen sieben eigenen Handyromanen wollte ich eine regelrechte Werkstatt gründen. Auf die Handyromane folgten die Handyhaikus. Diese habe ich teilweise als Handybücher veröffentlicht, teilweise in gedruckter Form mit QR-Codes.
IZMF: Der typische Stil in Handyromanen – kurze Sätze, prägnante Sprache, wenig ausschweifende Szenenbeschreibungen – sind nicht zuletzt durch die technischen Gegebenheiten wie die Displaygröße eines Handys bedingt. Bietet das Format andererseits auch „Freiheiten“, die es im klassischen Buchroman so nicht gibt?
Bendel: Zunächst einmal sehe ich Parallelen zum Haiku. Das aus Japan stammende Kurzgedicht mit maximal 17 Silben ist äußerste Beschränkung und bietet gerade dadurch enorme Möglichkeiten. Man kann natürlich Parallelen zu allen möglichen Genres ziehen, die Restriktionen unterliegen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, den Roman multimedial anzureichern. Ich habe großen Respekt vor gut gemachten „Enriched Books“ bzw. „Enhanced Books“, habe diesen Schritt allerdings selbst nicht gemacht.
IZMF: Japan – die Wiege des Handyromans – und Deutschland sind kulturell sehr verschieden. Da liegt die Vermutung nah, dass sich der Handyroman hierzulande anders entwickeln wird. Welche Tendenzen sehen Sie für die nächsten Jahre? Welche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten gibt es zu Japan?
Bendel: Die Länder sind in der Tat kulturell sehr verschieden. Was die inhaltlichen und formalen Unterschiede der Handyromane angeht, wäre viel zu sagen und zu mutmaßen. Der europäische Handyroman ist vielleicht weniger auf Liebe und Erotik fokussiert, und er ist experimenteller, erwachsener. In Japan hat auch ein Erwachsener die Bewegung initiiert, aber dann kamen die Mädchen und mischten den Literaturmarkt auf. Bei uns kamen erst ein paar Erwachsene, dann war eine Weile nichts, und nun drängen die Jugendlichen und alle, die schon immer einmal schreiben wollten, auf den Markt.
Was das Business angeht, gibt es einige Gemeinsamkeiten. Die etablierten Verlage konnten in Japan doch noch Geld mit einer Bewegung verdienen, die sie verschlafen hatten. Auch in Europa werden Verlage elektronische Bücher nachdrucken.
IZMF: Das heißt, der Handyroman wird die Literaturlandschaft verändern?
Bendel: Der Handyroman ist ein relativ neues Genre, zumindest in unseren Breiten. Damit ist er zunächst einmal eine Bereicherung. Er ist ein Genre, das fasziniert und provoziert. Er fasziniert und wird Laien zur Literatur bewegen, aus ihnen Leser und Autoren machen. Es gibt inzwischen mehrere Plattformen im deutschsprachigen Raum, auf denen man Literatur einem breiten Publikum zur Verfügung stellen kann, auch in mobilen Formaten. Das sind nicht alles Handyromane, aber es ist „Literatur von unten“. Der Handyroman provoziert, vor allem diejenigen, die nie einen lesen werden. Und wieder einmal tun sich Literaturwissenschaftler schwer mit einem neuen Genre. Eigentlich müssten sie literarische Experimente schätzen. Aber viele von ihnen sind nicht in der Moderne angekommen. Eine Ausnahme ist Mario Andreotti, der in seinem Standardwerk „Die Struktur der modernen Literatur“ auch den Handyroman berücksichtigt. Und Johanna Mauermann, die damals zum wissenschaftlichen Nachwuchs gehörte.
Wir stellen fest, dass sich der Literaturbetrieb stark verändert. In der Literatur passiert seit einigen Jahren das, was die Musik schon hinter sich hat. Ein Verlag nach dem anderen macht zu. Die Buchhandlungen schließen. Das Geschäft der Zukunft findet zwischen Autor und Leser statt. Elektronische Bücher sind keine Einbahnstraße. Und eine Sackgasse schon gar nicht.
IZMF: Unter Bildungsexperten ist die Frage umstritten – was denken Sie: Eignet sich der Handyroman, um bei jungen Menschen Interesse an Literatur zu wecken?
Bendel: Der Handyroman kann durchaus Interesse an Literatur wecken. Es handelt sich um ein niederschwelliges Genre; man kann es – ich gebrauche absichtlich diese Begriffe – leicht konsumieren und leicht produzieren. Nicht umsonst fühlen sich insbesondere Jugendliche angesprochen.
Vor ein paar Jahren wollten wir die Handyliteratur erforschen. In München befand ein „Experte“ aus dem Literaturhaus, der für die Finanzierung des Projekts zuständig war, dass niemand jemals auf dem Handy lesen wird. Heute nehmen wir im Alltag etwas ganz anderes wahr.
IZMF: Inwieweit werden technologische Weiterentwicklungen in der Mobilbranche den Handyroman verändern?
Bendel: Die Geräte und das Umfeld machen es möglich, dass sich Handyromane zu Enriched oder Enhanced Books entwickeln. Die Verlinkungen nehmen zu, die Texte werden mit Bildern und Videos angereichert. Auch Booktracks, also Soundtracks für Bücher, können integriert werden.
Vermutlich wird Augmented Reality eine stärkere Rolle spielen. Die Bücher interagieren mit der natürlichen oder künstlichen Umwelt. Die Bewegung des Lesers, die Landschaft, die ihn umgibt, die Häuser, die er betritt, die Personen, die er trifft – all das wird Einfluss auf die Geschichten haben.
IZMF: Wird es von Ihnen in Zukunft noch den ein oder anderen Handyroman geben?
Bendel: Neue Handyromane schließe ich nicht aus. Ich habe inzwischen andere Projekte, aber das eine oder andere Projekt würde ich noch gerne realisieren.
Herr Professor Bendel, vielen Dank für das Gespräch.
Autor
Oliver Bendel lebt in Winterthur. Über seine Handyromane und -haikus erschienen mehr als 100 Beiträge in den Medien und in wissenschaftlichen Arbeiten. Das ZDF drehte einen Film über seine Handyromane, und das Schweizer Fernsehen berichtete auf dem Kulturplatz über das Mundartprojekt. Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverbendel.net, www.swissbooks.net und www.handyroman.net.