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Interview mit Prof. Dr. Martin Röösli

19. Juni 2020
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Martin Röösli ist Professor für Umweltepidemiologie am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel, dort leitet er die Einheit Umwelt und Gesundheit. Auf dem Gebiet der nichtionisierenden Strahlung führte er mehrere Expositionsabschätzungen und epidemiologische Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder durch. Er berät zusammen mit einer Expertengruppe das Schweizerische Bundesamt für Umwelt (BERENIS) und ist Mitglied der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP).

Es gibt Befürchtungen, dass durch 5G die Exposition deutlich ansteigt. Steigen mit mehr Mobilfunksendeanlagen die gesundheitlichen Risiken? Oder anders gefragt: Wie wirken sich mehr Mobilfunksendeanlagen auf die Exposition der Bevölkerung aus?

5G wird als schneller und leistungsfähiger angepriesen. Viele denken, dass dies automatisch mehr Strahlung bedeutet. Das ist aber nicht unbedingt der Fall, da 5G viel effizienter als ältere Mobilfunkstandards ist. Beispielsweise strahlt eine 5G-Mobilfunksendeanlage kaum, wenn sie nicht genutzt wird. Bei GSM war rund die Hälfte der Immissionen unabhängig von der Auslastung.

Ob eine Zunahme von Mobilfunksendeanlagen zu einer höheren Exposition der Bevölkerung führt, hängt davon ab, mit welcher Leistung die Mobilfunksendeanlagen senden und wie nahe sie bei der Bevölkerung aufgestellt werden. Es ist wahrscheinlich, dass mit einer Zunahme von Mobilfunksendeanlagen die Immissionen tatsächlich etwas steigen. Die damit verbundene bessere Signalqualität führt aber dazu, dass die Mobilfunktelefone deutlich weniger stark strahlen. Da das eigene Mobiltelefon bei der Mehrheit der Bevölkerung die Hauptstrahlungsquelle ist, nimmt damit netto die Strahlenbelastung ab. Eine Modellierungsstudie[1] aus der Schweiz zeigte klar: Je mehr Mobilfunksendeanlagen desto weniger Strahlenbelastung. Die Reduktion des Zellenradius führt zu einer Verringerung der Gesamtexposition der Mobilfunknutzer um einen Faktor 2 bis 10. Die Nichtnutzer erfahren jedoch eine leichte Erhöhung um den Faktor 1,6, allerdings auf tiefem Expositionsniveau.

Übrigens die Studie zeigte auch, je höher die Frequenz desto weniger tief dringt die Strahlung in den Körper ein: Bei Frequenzen von 3,6 GHz wird das Gehirn rund 6-mal weniger exponiert als bei Frequenzen von unter 1 GHz und rund 2-mal weniger als bei Frequenzen um 1,8 bis 2 GHz. Allerdings können Frequenzen um 3,6 GHz zu einer leicht erhöhten Exposition der Körperoberflächen führen wie z.B. Haut und Augen.

Wäre es aus Sicht der Exposition sinnvoll mit dem 5G Ausbau zuzuwarten?

Tatsache ist, dass der Datenverkehr exponentiell zunimmt und sich die mobil übertragene Datenmenge ungefähr jährlich verdoppelt. Würde man auf die effiziente 5G-Technologie verzichten, müsste man noch deutlich mehr Mobilfunksendeanlagen bauen, um dieses Datenwachstum zu bewältigen. Man hat ohne 5G schlussendlich also mehr Exposition als mit 5G. Die oben erwähnte Studie zeigte klar, dass alleine durch die höhere spektrale Effizienz von 5G die Gesamtexposition um bis zu einem Faktor 3 verringert wird im Vergleich zur jetzigen Situation.

Bislang haben alle Messungen und Berechnungen gezeigt, dass die Grenzwerte nur zu einem geringen Teil ausgeschöpft werden. Ändert sich das mit dem Aufbau der 5G-Netze?

Das kommt natürlich auf die zukünftige Entwicklung des Datenverkehrs an. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass die Grenzwerte im Durchschnitt deutlich stärker ausgeschöpft werden als heute. Da 5G eine dynamischere Leistungsregelung hat, ist zu erwarten, dass kurzfristige Spitzenwerte in Zukunft häufiger sein werden, während die Durchschnittsexposition mittelfristig sogar sinken könnte.

Mit neuen adaptiven Antennen können die Signale bedarfsgerecht an die Nutzer abgeben werden (Beamforming). Welche Auswirkung hat das auf die Exposition der Nutzer?

Der große Vorteil des Beamforming ist, dass gezielt dorthin gesendet wird, wo eine mobile Datennutzung nachgefragt wird. Damit reduziert sich die Exposition an den meisten Orten. Im Beam selber kann die Exposition bei intensiver Datennutzung etwas stärker sein. Dafür sendet dann das eigene Mobiltelefon weniger stark und weniger lang als bei einer Kommunikation mit einer konventionellen Antenne. Netto also wieder eine Expositionsreduktion.

Natürlich kann es vorkommen, dass auch ein Nichtnutzer von einem solchen Beam erfasst wird und damit eine etwas höhere Exposition hat. Aber dies wird deutlich seltener vorkommen als der umgekehrte Fall, dass man sich als Nichtnutzer außerhalb des Beams befindet. Also insgesamt eine Verbesserung im Vergleich zu der gegenwärtigen Situation mit Sendeleistung nach dem Gießkannenprinzip.

Die ICNIRP hat kürzlich neue Richtlinien zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung veröffentlicht. Werden darin auch aktuelle Forschungsergebnisse und 5G berücksichtigt?

Ja, diese Ergebnisse wurden berücksichtigt. Es gibt jedoch noch wenig Studien zu den gesundheitlichen Wirkungen von Frequenzen oberhalb von 6 GHz. Hier benötigen wir noch weitere Forschung. Es ist aber auch zu betonen, dass es keine gut begründeten wissenschaftlichen Hypothesen gibt, warum nichtionisierende Strahlung im Bereich von 20-80 GHz andere biologische Wirkungen haben sollte als die gegenwärtig genutzten Frequenzen. Die einfache Gleichung, je höher die Frequenz, desto gefährlicher, ist unwissenschaftlich. So strahlt z.B. ein Heizkörper im Bereich von 10‘000 GHz Infrarotstrahlung mit relativ hoher Intensität aus, ohne dass hier sogenannte nicht-thermische Effekte beobachtet worden sind.

Was raten Sie Menschen, die ihre persönliche Strahlenbelastung möglichst niedrig halten möchten?

Das ist einfach. Im Alltag sind am Körper betriebene Geräte die Hauptstrahlungsquelle. Je seltener diese genutzt werden und je weiter weg vom Körper, desto geringer die eigene Strahlenbelastung. Jede Verdoppelung des Abstandes zwischen Gerät und Körper halbiert die Strahlenbelastung. Also 10 cm Distanz statt 1 cm Distanz bedeutet einen 10-mal tiefere maximale Strahlungsabsorption durch den Körper.

Wie schätzen Sie die Forderung nach niedrigeren Grenzwerten ein? Ist das ein sinnvoller Weg für den Gesundheitsschutz?

Auf den ersten Blick hört sich das sehr attraktiv an und man könnte denken, je tiefer die Grenzwerte für Mobilfunksendeanlagen, desto tiefer die Strahlenbelastung. De facto ist es aber nicht so einfach. Schlussendlich bestimmt hauptsächlich die Nutzungsnachfrage wieviel Strahlung von Mobilfunksendeanlagen verbreitet wird. Senkt man die Grenzwerte, ohne dass sich die Nutzung ändert, braucht es halt viel mehr Mobilfunksendeanlagen. Diese werden dann näher bei den Menschen gebaut, um Interferenzen zwischen den Zellen zu vermeiden. Wie oben erläutert führt das zu einer besseren Verbindungsqualität und weniger Emissionen vom eigenen Mobiltelefon. Dafür nehmen aber wahrscheinlich im Durchschnitt die Immissionen durch Mobilfunksendeanlagen zu. Spitzenwerte gibt es mit tieferen Grenzwerten seltener, diese sind aber sowieso selten. Auch in Deutschland misst man an Orten wo sich Menschen lange aufhalten kaum mal einen Wert >6 V/m, was dem Vorsorgegrenzwert in der Schweiz entspricht.

Ich verstehe wirklich nicht, warum 5G so kontrovers diskutiert wird. Ich sehe aus Sicht der Exposition nur Vorteile und aus biologischer Sicht gibt es keine Hinweise, dass 5G gefährlicher sein könnte als bisherige Mobilfunkstandards. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass man gegenüber Mobilfunkstrahlung kritisch eingestellt ist. Aber dann sollte das Verursacherprinzip anwendet werden wie auch sonst im Umweltbereich. Das heißt, man würde darüber diskutieren, welche mobilen Anwendungen sinnvoll sind und wie man diese strahlenarm betreiben kann. Beispielsweise hat es einen Einfluss auf die Strahlenexposition mit welcher Auflösung Videos mobil übertragen werden, da Videos rund zwei Drittel der mobil übertragenen Datenmenge ausmachen. Auch würde die mobile Datennutzung wahrscheinlich deutlich weniger zunehmen, wenn die Kosten proportional zur Datennutzung wären. Eine Abschaffung der „Flatrate“ verkauft sich politisch natürlich nicht so gut wie ein Moratorium. Aber Strom, Wasser und Nahrung bezahlen wir schließlich ja auch gemäß dem eigenen Verbrauch.

 

[1] https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/59384.pdf

 

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