Umgang mit Verschwörungsmythen – Interview mit Ulrike Schiesser, Psychologin, Psychotherapeutin und Autorin

11. Oktober 2021
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Verschwörungsmythen greifen seit Beginn der Pandemie verstärkt um sich: Sie reichen von QAnon über den Great Reset bis hin zu Covid 19 und 5G. Rund ein Drittel der Deutschen sei offen für Verschwörungstheorien, so eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung immer wieder kommt es im Freundeskreis, im Büro oder sogar in der Familie zu Auseinandersetzungen über Verschwörungsmythen. Wie wir in Diskussionen darauf reagieren können, darüber haben wir mit Ulrike Schiesser, Psychologin, Psychotherapeutin und Autorin gesprochen.

Schiesser

Was genau versteht man unter Verschwörungstheorien? Welche Bezeichnung ist aus Ihrer Sicht angemessen?

Es gibt keine einheitliche Definition, aber ich verwende am liebsten die von Michael Barkun: Alles ist miteinander verbunden, alles ist geplant und nichts ist, wie es scheint.

Neben „Verschwörungstheorie“ verwendet man auch die Begriffe „Verschwörungsmythen“ oder „Verschwörungserzählungen“. Damit will man darauf hinweisen, dass Verschwörungstheorien keine Theorien im wissenschaftlichen Sinn sind. Diese Diskussion wird allerdings vorwiegend im deutschen Sprachraum geführt. Mythen und Erzählungen treffen den Kern der Sache besser, „Verschwörungstheorien“ ist aber der verbreitetste Begriff. 

Wie hat sich die Situation durch die Pandemie verändert? Gibt es heute mehr Verschwörungsmythen und mehr Menschen, die daran glauben?

Das Phänomen ist sichtbarer geworden und es betrifft auch Personengruppen, die man bis vor Kurzem noch nicht als so vulnerabel eingeschätzt hätte.  Das Phänomen ist also in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mir ist aber schon in den Jahren zuvor aufgefallen, dass diese Mythen immer mehr verbreitet werden, sie in der Esoterik und Alternativmedizin-Szene an Beliebtheit gewinnen.

Gibt es eine typische Art der Ansprache mit der Verschwörungsprediger*innen an ihre potentiellen Opfer herantreten?

Die Influenzer der Szene produzieren Videos, Bilder und Social Media Posts die stark emotionalisieren und eine schockierende Botschaft verkünden. Meist geht es um Themen die Angst erzeugen oder Wut gegen einen dämonisierten Feind schüren. Verbreitet werden diese Inhalte dann von Menschen, die sie für wahr halten und damit in ihrem Umfeld glaubwürdig wirken. Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen werden in missionarischer Art damit überschwemmt.

Was bewegt Menschen dazu, in diese Erzählungen Zeit und Geld zu investieren?

Sie reduzieren Komplexität, stellen unsere Welt als einfaches Brettspiel zwischen Gut und Böse dar, ersetzen Zufall, Chaos und Inkompetenz mit geplanten, gesteuerten Absichten. Sie geben das Gefühl, Teil einer Elite von Wissenden zu sein, ein Kämpfer für Wahrheit; ein Held, der von seinem Sofa aus, die Welt rettet. Und es sind spannende Geschichten, Schauermärchen, die Urmythen der Menschheit erzählen.

Wie kann es sein, dass ein Thema wie 5G und die Ausbreitung von Covid 19 in diesen Zusammenhang gebracht wird?

5G war schon vor der Covid-Pandemie ein Lieblingsthema der Szene. Neue technologische Entwicklungen verursachen bei manchen Menschen Ängsten und sind dann logischerweise auch Projektionsflächen der Verschwörungsmythen. Nach Ausbruch der Pandemie wurde mit abenteuerlichen Argumenten versucht, 5G auch dafür verantwortlich zu zeichnen. Die Welt der Verschwörungsmythen ist eine einfache Schwarz-Weiß-Schablone. Das absolut Böse versucht mit absolut dämonischen Mitteln einen maximalen Schaden anzurichten. Diese Erzählung wird mit unterschiedlichen Mitteln variiert, bleibt im Kern aber die gleiche.

Wie können wir darauf reagieren? Welche Tipps haben Sie, wenn sich jemand aus dem Bekanntenkreis oder der Familie immer tiefer in dieser Verschwörungswelt verliert?

Wenn jemand davon noch nicht völlig überzeugt ist, so schnell wie möglich mit guten Argumenten gegensteuern. Behauptungen nicht unwidersprochen stehen lassen. Wenn jemand aber schon in diese Parallelrealität abgeglitten ist, sind Diskussionen über die Inhalte der Mythen wenig zielführend. Dann ist es sinnvoller darüber zu sprechen, welchen Quellen warum vertraut wird, was das zugrundeliegende Weltbild der Person ist, und wie man, trotz unterschiedlicher Standpunkte, eine zivilisierte Gesprächskultur aufrechterhalten kann.

Warum und ab wann sind solche Verschwörungsmythen gefährlich?

Ich finde, dass sie immer gefährlich sind, weil auch die harmloseren suggerieren: „Vertraue niemandem, jeder lügt dich an!“

Sie untergraben das Vertrauen in die Demokratie, spalten die Gesellschaft, verstärken Vorurteile und schüren Hass. In Folge können sie zu Radikalisierung und Gewalt führen.

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